Die "Buchhalterstudie" in der Diskussion
Von Peter Hergoss
Mit Interesse und ein wenig Verwunderung habe ich die Ausführungen von Uta-Martina Jüssen zur Buchhalterstudie in BC 2015, 424 f. (Heft 9), gelesen. Mir fallen drei Punkte auf:
Ich kenne kaum eine Berufsgruppe, die keine unentgeltlichen Leistungen erbringt. Berufsgruppen, die dies meist nicht tun, wie z.B. Kfz-Meister, die selbst jeden Dichtungsring mit 20 Cent abrechnen, fallen im Geschäftsleben eher unangenehm auf. Verstehen kann ich, wenn selbstständige Buchhalter nicht kleinlich wirken wollen. Im Übrigen weiß ich aus meiner Zeit in der Mittelstandsberatung einer der großen Steuerberatungsgesellschaften, dass auch dort ein gewisser Teil der tatsächlich geleisteten Arbeit als nicht abrechenbar eingestuft und entsprechend auch tatsächlich nicht fakturiert wird.
Frau Jüssen schreibt, nicht wenige Bilanzbuchhalter würden ein Gehalt um die 100.000 € verdienen.
Dies mag im Einzelfall zutreffen, ist aber nach meinen Feststellungen eine Ausnahme. Meine eigenen Recherchen in Stellenanzeigen sowie in jenem Bereich, den ich persönlich überblicke (Berufskollegen, Branchenwerte im Kulturbereich, Gespräche mit Personalberatern etc.) liegen sehr deutlich unter den erwähnten 100.000 €. So beträgt auch mein eigenes Gehalt als Leiter Rechnungswesen eines mittelständischen Unternehmens nur ca. 50% des genannten Betrags. Natürlich: Persönliche Erfahrungen sind nicht repräsentativ, weil sie nur einen winzigen Ausschnitt der Realität abbilden. Bitte zeigen Sie gelegentlich auf, wie sich die genannte Zahl verifizieren lässt.
Von selbstständigen Buchhaltern ist mir bekannt, dass diese finanziell häufig noch deutlich schlechter dastehen als ihre angestellten Kollegen.
Wenn von Frau Jüssen das rosige Bild von Buchhaltern gemalt wird, die "die eigenen Fähigkeiten und Qualifikationen in einem fairen Wettbewerb zu einem sehr guten(!) Preis auf dem Markt verkaufen", muss ich einfach schmunzeln. Ja, so hätten wir es gern – eine faire Welt, in der Buchhaltungswissen geschätzt wird und gut, weil angemessen, honoriert wird. Ich fürchte die Realität sieht anders aus. Ich kenne keine Geschäftsleitung und keinen Unternehmer, die Buchhalter oder deren Arbeitsergebnisse wertschätzen. Im Gegenteil: Kleine Gewerbetreibende wollen "mit dem ganzen Kram" nichts zu tun haben und delegieren die Aufgabe an den Steuerberater. Die vergangenheitsbezogenen Arbeitsergebnisse des Steuerberaters interessieren anschließend häufig den Auftraggeber nicht, und Bilanzen sowie Steuern werden ohnehin nach den ziemlich willkürlichen Regeln von Handels- und Steuerrecht erstellt, mit denen sich der Unternehmer zu Recht nicht befassen will. Viele Unternehmer interessieren sich für das Marketing, den Vertrieb, die Branchenentwicklung oder einfach für den Auftragsbestand und den Weg zum nächsten Auftrag – nicht die Zahlen von gestern.
Kurz gesagt: Unternehmer wollen häufig etwas über die Zukunft wissen oder suchen wenigstens Hinweise auf den möglichen weiteren Verlauf ihres Weges. Der Buchhalter kann ihm aber nur sagen, was bis gestern galt. Die Zukunft nun mithilfe der Auswertungen des Buchhalters aus den Daten der Vergangenheit ableiten zu wollen, ist so, als würde man aus dem Rückspiegel eines Autos auf die Autobahn schauen und aus der Zahl der überholten anderen Autos an der nächsten Abfahrt die Richtung zum Ziel ableiten wollen (frei nach Claus von Wagner).
Größere Unternehmen – übrigens auch große Beratungsgesellschaften – lagern die Buchhaltung dagegen vorzugsweise ins osteuropäische Ausland aus. Auch hier gilt es, diese unangenehme Pflicht möglichst aus dem produktiven Unternehmen herauszuhalten und so billig wie möglich woanders erledigen zu lassen.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn insbesondere die Honorare der selbstständigen Buchhalter unter Druck stehen, kostenlose Zugaben gegeben werden und die von Jüssen genannten Einnahmen nicht erzielt werden.
Am Markt erzielbare Preise richten sich ganz allgemein nicht nach den Herstellungs- bzw. Selbstkosten der Dienstleistung oder der Qualifikation des Erstellers, sondern danach, was der Kunde zu zahlen bereit ist. Es kommt daher wesentlich auf das Image des Produkts an, nicht darauf, ob es den Hersteller Jahre seines Lebens gekostet hat, das Produkt/die Dienstleistung herstellen oder anbieten zu dürfen.
Leider haben Summen- und Saldenlisten, BWAs, Excel-Blätter oder andere Auswertungen nicht das reizvolle Image von Premiumprodukten oder Premiumdienstleistungen, die ihrem Besitzer Ansehen, Bewunderung oder den Neid der anderen verschaffen. Daher werden sie wohl auch in Zukunft nur mäßig honoriert werden.
Quelle: Ersterscheinung in "BC – Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling", Heft 10/2015, : Unentgeltliche Leistungen und Einnahmen von Selbstständigen, Peter Hergoss, Seiten 452 bis 453, mit freundlicher Genehmigung der BC-Redaktion, Verlag C.H.BECK oHG, München (www.bc-online.de).
Peter Hergoss ist Bilanzbuchhalter und angestellter Rechnungswesenleiter.
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